Der Reitbetrieb in der Insolvenz
Rechtsanwalt/Fachanwalt für Insolvenzrecht Christian Weiß (Köln)/Pferdewirtschaftsmeisterin Katrin Meyer (Kerpen)
In der Rubrik „Der besondere Fall” geht es um Erfahrungsberichte, Problemstellungen und Hinweise für die praktische Abwicklung von Insolvenzverfahren. Schwerpunkt ist daher auch vorliegend weniger die rechtliche, sondern die tatsächliche Einordnung des „Vermögenswertes Pferd“ für das Insolvenzverwalter-Team in der Insolvenz eines Reitbetriebes.
- Ausgangsfall[1]
Ein Bauunternehmer und Pferdezüchter hatte zur Sicherung einer Darlehensschuld ursprünglich 128 Pferde übereignet. Diese Sicherheiten erhielt die Betreiberin eines Pferdewirtschaftsbetriebes. Sie war berechtigt, die Pferde zu Zuchtzwecken und im Turniersport einzusetzen und nach Absprache mit dem Sicherungsgeber auch zu veräußern. Nach Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens über dessen Vermögen meldetet sich der Insolvenzverwalter bei der zwischenzeitlich ebenfalls insolventen Betreiberin: Er wollte u. a. 18 Pferde nebst Eigentumsurkunden und Pferdepässen haben – sie machte ursprünglich bereits Ansprüche wegen Pension der Pferde, deren Ausbildung pp. geltend.
- Praktische Umsetzung der Sicherungs- und Erhaltungspflicht, § 21 Abs. 2 InsO
Dem vorläufigen Insolvenzverwalter kommt die Aufgabe zu, das schuldnerische Vermögen zu sichern und zu erhalten. Dies wird im Konkreten zunächst auch von der Kooperationsbereitschaft der Betreiberin als Schuldnerin abhängen. Aber nicht nur: Transportables Vermögen von Wert bekommt in der Insolvenz „gerne Beine“. Hier sind im vorliegenden Fall insbesondere Sättel, Trensen, Pferdehänger und LKW; die selbst im gebrauchten Zustand Werte von mehreren hundert bis tausend € darstellen können, aber auch Futter-Vorräte in Betracht zu ziehen. Der vorläufige Insolvenzverwalter sollte auch aus eigenem Interesse wegen § 60 InsO alles in seiner Macht Stehende tun, um deren Inventarisierung und Sicherung zu erreichen. Dies können bei einem Reitbetrieb insbesondere sein: Ansprache der Betreiberin, der im Stall vorhandenen Mitarbeiter[2] sowie der Einstaller[3]. Daneben dürfte sich eine unverzügliche Aufnahme des Anlage- und Umlaufvermögens durch eine (pferde-) sachverständigen Bewerter empfehlen. Die Sicherung der festgestellten Werte in verschließbaren Sattel-/Trensenkammern bzw. auf entsprechenden Hänger-Stellplätzen dürfte Standard sein. Zudem sollte berücksichtigt werden, dass in der Praxis viele Dienstleistungen durch die Einstaller regelmäßig in bar und ohne Quittung gezahlt werden.[4]
Exkurs: Eigentum an Pferden
Unter „Pferdeleuten“ gilt auch heute noch der Vertragsschluss per Handschlag selbst bei hochpreisigen[5] Pferden. Nur weil auf dem Schild an der Boxentür eines Pferdes „Eigentümer Frau Muster“ steht, muss dies der (insolvenz-) rechtlichen Realität nicht entsprechen. Zwei Dokumente sollte der (vorläufige) Insolvenzverwalter im Zusammenhang mit Pferden jedoch immer im Hinterkopf halten:
Zum einen den Pferde-/Equidenpass. Diesen kann man am ehesten mit einem Impfpass für Hunde vergleichen. Der Equidenpass hat zudem eine öffentlich-rechtliche Identifikationsfunktion und sagt letztlich über das Eigentum des Pferdes rechtlich nichts aus. Dennoch ist er auch für den Insolvenzverwalter wichtig. Denn das mehrseitige gebundene Dokument wird i. d. R. von dem Zuchtverband[6] eines Pferdes ausgestellt und steht auch in dessen Eigentum. Dieser Pass enthält Angaben zur Lebensnummer[7] des Pferdes, dessen Geschlecht[8], Zuchtlinie sowie unverwechselbaren Besonderheiten[9]. Darüber hinaus werden Impfungen dort vermerkt. Eine Besitz-Übernahme des Pferdes ohne entsprechenden -pass stellt eine Ordnungswidrigkeit dar (§ 46 Abs. 1 Ziff. 24 Viehverkehrsordnung).[10] Daher sollte auch der vorläufige Insolvenzverwalter dafür Sorge tragen, dass zu den Pferden im Stall entsprechende Equdienpässe (im Tresor gesichert) vorhanden sind.
Zum anderen die aus einem Blatt bestehende Eigentumsurkunde. Sie wird ebenfalls von dem jeweiligen Zuchtverband ausgestellt und enthält auch Angaben zu Name, Lebensnummer und Geschlecht des Pferdes; dessen Züchter sowie verantwortlichen Personen wie der ausstellenden Stelle. Die Eigentumsübertragung an einem Pferd erfolgt jedoch grds. durch Einigung und Übergabe des Pferdes – nicht der Eigentumsurkunde. Diese ist erst aufgrund des Eigentumsübergangs heraus zu geben. Gleichwohl dürfte sich aus ihr auch auf das tatsächliche Eigentum jedenfalls indiziell schließen lassen.
Praxistipp: Information FN bzw. Zuchtverband über (vorl.) Insolvenz
Die FN[11] dürfte sich neben dem jeweiligen Zuchtverband als erster Ansprechpartner für das Insolvenzverwalter-Team bezüglich des Eigentums an einem Pferd empfehlen; auch um die Eintragung eines Insolvenzvermerkes wie man ihn beispielsweise bei Immobilien (§ 32 InsO) kennt, zu erbitten. Internet-Portale[12] helfen bei der weiteren Recherche zur Identifizierung des Pferdes, dessen (sportlicher) Genese – und somit letztlich auch dem Wert eines Sportpferdes. Sie können aber auch[13] bei der Ermittlung des Pferde-Eigentümers ergänzend herangezogen werden.
III. Praktische Umsetzung der Sicherungs- und Erhaltungspflicht, § 21 Abs. 2 InsO – „hippologisches Hochreck“
Für den (vorläufigen) Insolvenzverwalter dürfte es elementar sein, dass beispw. verlässliche Pferdepfleger/Stallhelfer auch in dieser Ausnahmesituation[14] Gewähr für eine nicht nur vertrags-, sondern insbesondere artgerechte Versorgung der Pferde übernehmen. Denn auch hier kommt eine Betriebsschließung gem. § 21 Abs. 1 Nr. 2 InsO wegen des damit verbundenen Grundrechtseingriffs wohl nur im Ausnahmsfall in Betracht. Dem Insolvenzverwalter würde eine solche auch nicht per se helfen: Selbst mit der Betriebseinstellung stünden die Tiere im Stall der Betreiberin. Anders als eine einfach stillzulegende Maschine benötigen diese mehrmals täglich Futter, Wasser, Pflege, Auslauf. Andernfalls stehen schwere Erkrankungen wie Koliken, die sogar tödlich enden können, im Raum. Zum optimalen Management eines Pferdes in dem Zeitraum gehört je nach Bedarf das Hinzuziehen von Tierärzten und turnusgemäß[15] von Hufschmieden.
- Mehrung der Masse? Sanierung eines Reitbetriebes?
„Den Reitbetrieb“ im homogenen Sinne gibt es nicht. Es gibt Pferdebetriebe, dies als Einzelunternehmen betrieben werden, andere haben eine Betreibergesellschaft in Rechtsform der GmbH & Co KG oder/und eines eingetragenen Vereins. Dort können wiederum neben Pensionsdienstleitungen Reitstunden, der Beritt von Pensions-Pferden durch Fachleute, Ferienkurse, Reha-Angebote für Pferde u. v. m. angeboten werden. „Schlimmer“ wird es, wenn man den Sachverhalt der eingangs genannten BGH-Entscheidung liest. Demnach[16] war es der Hofbetreiberin auch gestattet, mit den Pferden des Sicherungsgebers zu züchten. Die Neugeburten/Züchtungen waren letztlich auch streitgegenständlich; was insgesamt zeigt, dass eine Massemehrung oder gar Sanierung allenfalls im konkreten Einzelfall des Reitbetriebes, wie ihn das Insolvenzverwalter-Team auch vorfinden mag, möglich sein kann. Natürlich gibt es auch bei Reitbetrieben grds. die „üblichen“ Sanierungsmöglichkeiten[17] wie den asset-deal oder den Insolvenzplan. Folgende Praxis-Punkte sollten dem Leser jedoch noch an die Hand gegeben werden:
Es dürfte in Deutschland grds. schwierig sein, einen Reitbetrieb gewinnbringend zu führen. Ob ein Betrieb dennoch – und zwar durch einen Pferdeprofi im wirklichen Sinne[18] - in die Gewinnzone gebracht werden kann, hängt von einer Vielzahl sich leicht und kurzfristig änderbarer Faktoren ab wie z. B. Art und Nutzung der Pferde[19], (teilweise) Selbstherstellung von Futter und Einstreu, Witterungsbedingungen und Jahreszeit, Einzugsgebiet samt Infrastruktur des Reitbetriebes[20] an sich u. v. m. „Paradebeispiel“ in Sachen Kosten-/Nutzen-Relation können beispw. „Streichelzoos“[21] sein: Recht wenig Aufwand für die Pferde-/Pony-Versorgung stehen eine Vielzahl von zahlenden Kunden pro Stunde gegenüber. Zuletzt darf aber auch dann nicht vergessen werden, dass so groß und kraftvoll Pferde insbesondere Nicht-Reitern erscheinen, sie selbst bei optimalem Management z. B. schlichtweg durch Verletzungen für mehrere Tage, gar Wochen, als Einnahmen-Bringer nicht mehr einsetzbar sein können. Sie verursachen dann aber Ausgaben für Medikamente, Tierarzt etc.
- Worst case: Die Verwertung der Pferde
Grundsätzlich entscheidet die erste Gläubigerversammlung über die Einstellung, Aufrechterhaltung eines Betriebes bzw. dessen Verwertung (vgl. §§ 160 ff. InsO). Dies gilt grds. auch für einen Reitbetrieb.[22] Die freihändige Verwertung eines Pferdes ist in der Regel schon außerhalb der Insolvenz kompliziert: Es muss ein zum Pferd „passender“ Reiter gefunden werden. Oftmals dauert dies schon Wochen, um den Wünschen des potentiellen Käufers nach Aussehen, Größe des Pferdes und letztlich Preis gerecht zu werden. Zudem wird (vernünftigerweise) ein Pferd, wenn es denn nach dem Probereiten gefällt, „getüvt“ werden. Dies bedeutet, dass eine umfangreiche veterinärmedizinische Untersuchung[23] stattfindet, ob das Pferd für den angedachten Gebrauch geeignet sein wird. Ein Insolvenzverwalter wird sich diese Mühe für jedes einzelne Pferd der Insolvenzmasse nicht machen können und wollen. Nun gibt es einige wenige, auf die Verwertung von Pferden spezialisierte Auktionatoren[24]. Neben deren Sachkenntnis und Erfahrung mit dem Klientel „Pferde-Leute“ können selbstverständlich auch (internationale) Kontakte in die Pferdeszene zu einem wirtschaftlichen Erfolg einer Auktion als vermutlich sinnvollere Art der Verwertung beitragen.
Exkurs: Wirtschaftlicher Wert/Schlachtpreis eines Pferdes
Der Wert eines Pferdes kann sich rasch ändern: Der Kläger und Insolvenzverwalter über das Nachlass-Vermögen in der zuvor I. genannten BGH-Entscheidung hatten den Gesamtwert der 18 Pferde entsprechend einem Sachverständigen-Gutachten zunächst mit rd. 3,7 Mio € beziffert. Letztlich hat der BGH mit Beschluss v. 13.10.2016 – IX ZR 176/15 den Wert des Revisionsverfahrens auf nur noch rd. 270.000 € festgesetzt. Vier der Pferde wiesen letztlich einen erheblich geringeren Wert auf und zwar aufgrund ihres nunmehrigen Alters, der Verwendbarkeit nur noch als Freizeit- und nicht mehr als Turnierpferd.
Selbstverständlich[25] liegt im Zusammenhang mit der Verwertung von Pferden auch die Möglichkeit der Schlachtung als ultima ratio nahe. Nur ist diese wirtschaftlich wenig ertragreich: Grobschnittig kann bei einem ausgewachsenen Warmblut-Pferd von einem Lebend-Gewicht von 600 Kilo ausgegangen werden. Rund 60 % davon, also ca. 360 Kilo, sind Fleischanteil. Ausgehend von einem Preis von rd. 0,60 € je Kilo ergäbe dies einen Erlös von ca. 216 € je Pferd. Jedenfalls in Deutschland setzt die Schlachtung jedoch voraus, dass diese Eignung des Tieres als Schlachttier überhaupt vorhanden ist – was dem o. g. Equidenpass zu entnehmen sein muss. Abgesehen davon kann selbst dann eine Schlachtung z. B. bei der Behandlung des Pferdes mit Medikamenten ausscheiden.
- Fazit
Die Insolvenz eines Reitbetriebes ist selten[26], wie dargestellt aber sicherlich ein besonderer Fall für den Insolvenzverwalter und sein Team. Das „Besonderste“ an sich dürfte jedoch die Involviertheit der Pferde an sich sein, die im Rahmen der (vorläufigen) Insolvenzverwaltung die aufgezeigten Herausforderungen und je nach Einzelfall noch viele mehr mit sich bringen werden.
[1] Sachverhalt angelehnt an die Entscheidung BGH v. 14.04.2016 – IX ZR 176/15, vgl. ZInsO 2016, 1256 ff.
[2] Nicht selten aus Osteuropa stammende Hilfsarbeiter mit geringen/keinen Deutsch-Kenntnissen.
[3] Also der Kunden der Betreiberin, die gegen Entgelt ihre Pferde bei ihr in Pension gegeben haben.
[4] Was zu ähnlichen Problemen wie in den aus Gaststätten-Insolvenzen bekannten führen kann.
[5] Faustregel: Kaufpreis bis 5.000 € = einfaches Freizeitpferd, bis 30.000 € = besseres Nachwuchspferd, > 100.000 € = gutes Sportpferd.
[6] Beispw. Oldenburger, Trakehner oder Hannoveraner.
[7] Individuell vergebene Nummer zur Identifizierung, früher per Brandzeichen, heute per (am Hals) eingesetztem Chip, den der Tierarzt auslesen kann.
[8] Hengst (männl. Pferd), Wallach (kastriertes männl. Pferd), Stute (weibl. Pferd).
[9] Auch besondere Fellzeichnungen können dem Fachmann bei der Identifizierung des Pferdes helfen.
[10] OLG Hamm v. 08.04.2015 – 5 W 42/15, auch zum nicht bestehenden Zurückbehaltungsrecht am Equidenpass.
[11] Deutsche Reiterliche Vereinigung e. V. (FN) als Bundesverband für Pferdesport und Pferdezucht, vgl. www.pferd-aktuell.de.
[12] Wie beispw. www.rimondo.com oder www.ehorses.de.
[13] Nach Auffassung der Autoren jedenfalls indiziell.
[14] Und trotz oftmals ausgebliebener Lohnzahlungen.
[15] Grundsätzlich alle 6 Wochen sind Hufpflege bzw. neue Hufeisen angezeigt; Unkosten ca. 100 € je Einsatz der Fachkraft je Pferd.
[16] BGH a. a. O., vgl. auch LG Oldenburg v. 21.02.2014 – I O 2639/12.
[17] Dazu ausführlich Lambrecht, Droht diesen Pferden der Schlachter?, ZInsO 2012, 1054.
[18] „Reitlehrer“ ist kein geschützter Begriff. Hingegen haben beispw. Pferdewirtschaftsmeister (FN) nach grds. 3-jähriger Lehre zum Pferdewirt in der jeweiligen Fachrichtung wie „Zucht und Haltung“ oder „Reiten“ die Meisterschule samt kaufmännischem Bestandteil erfolgreich absolviert. Sie sind dann auch berechtigt, Lehrlinge auszubilden.
[19] Robust-Pferd vs. edlem Rennpferd z. B.
[20] Ländlich (bei geringen Boxenmieten, aber pferde-verbundenen Kindern/Erwachsenen) vs. Stadtlage (bis zu doppelt so hohe Boxenmieten/Tarifen für Reitstunden, aber Veranstaltungskonkurrenz durch Tennis u. a. ).
[21] Auf die manche Pferdebetriebe wirtschaftlich erfolgreich vollständig oder ergänzend umgestellt haben. Desweiteren bieten sich grds. ergänzende Dienstleistungen bis hin zu einem „Reiterstübchen“ oder die Versorgung durch Getränke-/Snackautomaten an, um weiteren Umsatz zu generieren
[22] Zu den mit einer Fortführung einhergehenden Problemen vgl. bereits zuvor.
[23] Klinische und röntgenologische Untersuchung, Kostenpunkt ca. 1.000 €.
[24] Lediglich exemplarisch und nicht abschließend: www.mennraths.de; www.auktionsbuero-schultes.de.
[25] Zu dem mit einer Schlachtung ebenfalls „selbstverständlich“ einhergehenden Aufschrei der Tierschützer bereits Lambrecht, a. a. O., 1057.
[26] Nach WBDat GmbH Köln 2017 insgesamt nur 8 Suchergebnisse pro Jahr für den Suchbegriff „Pferdezucht“, 0 für „Reiterhof“.
QUELLE: InsbürO 09/2017, 370